Galopp ist kein Hexenwerk
Von Kathrin Brunner-Schwer
Auf meinen Lehrgängen stoße ich immer wieder auf das eine Thema: den Galopp. Meistens ist dieses Thema mit Angst besetzt. Hier nun ein paar Grundsätze dazu.
Der Galopp ist der Wiener Walzer der drei Grundgangarten. Galopp kann entspannen, den Schwung verbessern und sogar als Belohnung (!) eingesetzt werden. Bei vielen Pferden fördert der Galopp die Losgelassenheit effektiver als der Trab. Und ein schön gesetzter, kadenzierter Galopp ist für das Pferd weniger anstrengend als Trab. In seiner versammelt-leichten Variante ist Galopp schlichtweg ein Tanz. Und nach den Oliveira-Prinzipien geritten eine Freude.
„Achten Sie auf die Reinheit der Gangart, auf die Abfolge von drei Sprüngen! Der Rest ist wenig“, betonte Nuno Oliveira in allen seinen Schriften immer wieder. Aber was meinte er mit der „Reinheit“ des Galopps? Oliveira meinte damit den Dreitakt aus der Hinterhand. Den Galopp im Viertakt geißelte er als „disgracieux“, als „häßlich“. Und auch seine Schwiegertochter Sue Oliveira korrigierte alle Schüler, die im Viertakt daher kamen mit den Worten: „Dein Pferd galoppiert auf den Schultern – das ist kein Galopp!“
Galopp ist kein Hexenwerk. Galopp ist die einfachste der drei Grundgangarten. Er ist allerdings nur dann die einfachste, wenn die anderen beiden Gangarten stimmen. Schritt und Trab und ganz besonders die Übergänge zwischen beiden müssen sitzen, ohne dass sich das Pferd im Übergang versteift, verwirft oder auseinander fällt. Das Pferd muss sich im Trab bereits ein wenig versammeln lassen, ohne dass es an Energie verliert und der Takt muss stimmen. Will heißen, das Pferd ist in beiden Grundgangarten ausbalanciert und gerade. Und zwar vor allem gerade! Wenn das Pferd zum Angaloppieren nicht gerade ist – und das gilt hier vor allem für das junge Pferd – dann kann das Ganze in einem unkontrollierten Schweinsgalopp enden, der für beide Beteiligten höchst unangenehme Folgen haben kann. Aus diesem Grund ist der Galopp auch ein Angstthema bei manchen Reitern. Das muss aber nicht sein: Die Oliveira-Prinzipien für einen korrekten Galopp haben mir vor Jahrzehnten das Unbehagen davor genommen, das so viele deutsche Reitlehrer mir zuvor erfolgreich eingepflanzt hatten. Auch auf einem jungen Pferd fühlte ich mich im Galopp plötzlich sicher.
In der Frage der „richtigen“ Galopphilfen gibt es bei Oliveira kein Dogma. „Ich weiß, dass es eine immerwährende, große Diskussion darum gibt, ob mit dem inneren oder dem äußeren Schenkel angaloppiert werden soll“, sagt Nuno Oliveiras Enkel Gonçalo, der in Mailand lebt und unterrichtet. „Wir Oliveiras jedenfalls galoppieren mit dem äußeren Schenkel. Der Innere bleibt am Platz und greift nur ein, wenn der Schwung nachlassen sollte, beziehungsweise wenn ich das Pferd im Galopp nach einem Schulterherein oder einer Traversale frage, wo es sich um den inneren Schenkel biegen soll.“ Auch Sue Oliveira plädierte für den äußeren Schenkel, weil er beim ersten, wichtigsten Galoppsprung effektiver dazu beiträgt, das Pferd gerade zu halten. Und das stimmt. Es ist in der Tat einfacher.
Das Wichtigste am Galopp ist das Angaloppieren. Ein korrekter Start in den Galopp wird die Qualität des Galopps verbessern. Auf die 'Eins' von jedem 'Eins-Zwei-Drei' kommt es an. Betrachten Sie jeden ersten Sprung innerhalb der Galoppsprung-Abfolge als Angaloppieren. Man muss beim Angaloppieren spüren, dass das Pferd die Vorhand hebt und sich nicht nach vorne wirft.
„Galopp kann man auch zum Lösen des Pferdes einsetzen“, meint Gonçalo Oliveira, „manche Pferde lösen sich auf diese Weise besser, sie atmen besser. Vor allem, wenn ein Pferd im Trab klemmt oder nicht genügend Energie an den Tag legt, kann ein kurzer Galopp befreiend wirken.“ Doch lösen kann sich das Pferd nur in einem geraden Galopp. Die meisten Fehler beim Galopp kommen von der Schiefe des Pferdes. Einer dieser Fehler, den man immer und immer wieder beobachten kann, ist das Angaloppieren mit einem (meistens nach innen) gestellten Pferd. Es ist völlig unlogisch, das Pferd im Galopp nach innen zu stellen. So wird es aus der notwendigen Balance gebracht und der Schub von hinten nach vorne gestört. Folgen: das Pferd fällt entweder auf die innere oder äußere Schulter, meistens kommt die Kruppe nach innen und oft wird es viel zu schnell im Galopp.
Sind alle Voraussetzungen gegeben und die Übergänge von Galopp zum Schritt stimmen, ohne dass das Pferd zwischendrin auseinander fällt und auch im Außengalopp versammelt und gerade bleibt – erst dann gibt es den ersten fliegenden Galoppwechsel. Und der funktioniert nach Oliveira folgendermaßen (am Beispiel vom fliegenden Wechsel von rechts nach links): Am Anfang einer langen Bahnseite galoppiert man das Pferd im korrekten Rechtsgalopp an. Nach drei bis vier Galoppsprüngen pariert man durch zu einigen Schritten im (versammelten) Schritt. Dann galoppiert man im Außengalopp an, wieder nur drei bis vier Sprünge. Wieder durchparieren zum Schritt. Diese Abfolge (Rechtsgalopp, Schritt, Linksgalopp, Schritt) wiederholt man fünf,- sechs-, siebenmal oder mehr hintereinander auf einem großen Zirkel. Beim (zum Beispiel) achten Mal angaloppieren im Außen- beziehungsweise Linksgalopp verzichtet man auf das Durchparieren in den Schritt und gibt möglichst an einem Zirkelpunkt, an dem man vorher schon rechts angaloppiert ist, die Hilfe für den Rechtsgalopp. Klingt einfach? Ist es auch. Und logisch für´s Pferd.
Manche
Pferdefachleute behaupten übrigens, dass Pferde in Freiheit aus
Energiespargründen nur im äußersten Fall den Galopp wählen. Diese
These deckt sich allerdings nicht mit meinen Erfahrungen.
Ich sage, Pferde galoppieren gerne – es scheint ihnen mehr Spaß zu machen als zu traben. Das ist jedenfalls, was ich täglich aus den Fenstern meiner Wohnung beobachten kann. Wenn die Pferde auf den Koppeln des benachbarten Pensionsstalls miteinander spielen, bewegen sie sich immer mehr im Galopp als im Trab. Und wenn ich nach dem Reiten auf meinem kleinen Reitplatz vor dem Haus meinem 27-jährigen Araberhengst Sattel und Zaumzeug ausziehe, galoppiert er gut gelaunt aus dem Stand in sein offenes „Zimmer“ im Stall zurück, jedes Mal. Er könnte das auch im Trab tun. Tut er aber nicht.
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Wie wichtig die korrekte Galopparbeit sein muss, weil der Pferdekörper in dieser Gangart Extremes leistet, verdeutlichen diese Zahlen von Dr. Christian A. Bingold, Pferdeklinik Großostheim.
Die maximale Belastung pro Pferdebein bei Landung im Galopp beträgt das 2,5 fache des Körpergewichtes - bei einem 600 kg Pferd sind das 1,5 Tonnen. Dabei spielt sich Folgendes im Pferdekörper ab:
Herzleistung 110-250 Schläge pro Minute
Atem 110-140 Züge pro Minute
Sauerstoffverbrauch 20 - 80 Liter pro Minute