Interview mit Luis Valença von Kathrin Brunner-Schwer
(Foto: Archiv Valença)
Kann ein Pferd so etwas wie ein „Partner“ für den Menschen sein?
Ganz sicher. Es ist ja eine Tatsache, dass das Pferd in der Entwicklung des Menschen eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle spielte. Es trug zum wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt bei. Wer weiß wo die Menschheit heute wäre, wenn es das Pferd nicht gegeben hätte?
Kann ein Pferd einen Menschen „lieben“? Beziehungsweise kann ein Mensch durch bestimmte Verhaltensweisen eine emotionale Bindung des Pferdes zu sich verursachen? Und welche Rolle spielt die Dominanz dabei?
Ich bin kein Verfechter der Dominanz. Eine wirkliche Beziehung funktioniert nur mit Vertrauen. Und ob ein Pferd seinen Menschen lieben kann ist eine Frage, die ich auch heute noch nicht beantworten kann. Aber ich kann eine Geschichte über einen 60-jährigen Mann und eines meiner Pferde dazu erzählen:
Es war vor fünf Jahren. Als Folge eines schweren Verkehrsunfalls war dieser Mann an den Rollstuhl gefesselt. Er verließ sein Haus in Lissabon nicht mehr, hatte jedes Interesse am Leben verloren und litt lange unter sehr schweren Depressionen. Nichts half ihm. Eines Tages lief jemand mit einem Pferd an seinem Haus vorbei und seine Familie bemerkte, wie er mit seinem Rollstuhl ans Fenster fuhr, um dem Pferd nachzuschauen. Da hatte sein behandelnder Arzt die Idee, ihn zu mir auf meine Reitanlage zu bringen. Der Mann hatte vorher in seinem Leben noch nie etwas mit Pferden zu tun gehabt. Ich hatte (und habe ihn immer noch) einen Lusitanohengst, der chronisch lahmte - warum, wußte niemand. An dieses Pferd hängte der Mann im Rollstuhl sofort sein ganzes Herz, noch bevor er wußte, dass das Pferd auch gehandicapt war. Und wie es schien, war diese Liebe gegenseitig. Seit jenem Tag kommt dieser Mann beinahe täglich auf meine Reitanlage und beschäftigt sich mit dem Pferd. Nach einem Jahr konnte der Mann seinen Rollstuhl verlassen, er kann wieder laufen, ohne irgendwelche Therapien. Auch dem Pferd geht es bedeutend besser.
Ich kann mir nicht erklären, warum das alles so passierte. Waren es Energien, die beide austauschten? Ich weiß es nicht. Aber ist das nicht auch ein Beweis dafür, dass die Beziehung Mensch/Pferd beidseitig verläuft? Ich könnte übrigens noch mehr solcher Geschichten erzählen.
Können Pferde so etwas wie Spaß oder Freude haben bei der Arbeit mit dem Menschen?
Der größte Teil unserer Pferde lebt heutzutage 24 Stunden in Boxen. Deshalb ist es unsere Pflicht, ohne Wenn und Aber, den Bedürfnissen des Pferdes, wenn wir es zur Arbeit aus der Box holen, entgegen zu kommen. Das beinhaltet nicht nur pferdegerechtes Reiten und natürlich Koppelgang, sondern ebenso die Möglichkeit, dass das Pferd auch Pferd sein darf - nennen wir es korrekte Umgangsformen. Dazu gehört, dass sich das Pferd entweder frei in der Halle oder an der langen Longe kurz austoben darf bevor es geritten wird. Und dass es nach der Arbeit noch einmal in der Halle frei laufen und sich wälzen darf. Das Pferd wird sich immer daran erinnern und Freude haben.
Dazu eine Geschichte: Vor einigen Jahren verkauften wir Achado, einen 22-jährigen Lusitanohengst, den meine Tochter Luisa viele Jahre geritten hatte, an einen freundlichen älteren Herrn aus Italien. Er hatte Achado bereits fünf Jahre, als er mich völlig verzweifelt anrief. Er käme überhaupt nicht mit dem Pferd zurecht. Jetzt, nach fünf Jahren Geduld, überlege er, ob er ihn nicht kastrieren läßt. Ich sagte "warten Sie!" und flog mit meiner Tochter zusammen nach Mailand. Als der Herr das Pferd in die Reithalle brachte, führte sich Achado auf wie ein Berserker: Er stieg und warf sich ununterbrochen herum. Meine Tochter Luisa, vielen übrigens als "Bi" bekannt, stieg auf. Und im selben Moment verwandelte sich Achado. Er ließ sich von Bi ganz wunderbar arbeiten, vollkommen problemlos - vor lauter Rührung mussten wir drei weinen. Und unser italienischer Freund schluchzte: "Jetzt sehe ich: es ist der Reiter und die richtige Kommunikation, die alles ausmachen!" Nun, Achado kam wieder zu uns nach Portugal zurück. Der Pferdetransport erreichte Vila Franca um 1 Uhr früh und wir ließen Achado erst einmal in die Halle, damit er sich frei austoben konnte. Bi hatte für ihn seine alte Box hergerichtet, die mit der Nr. 24. Und als Achado fertig getobt hatte, sagte Bi zu mir "Papa, lass ihn, nimm ihn nicht an den Strick!". Sie öffnete die Hallentür ... und Achado marschierte geradewegs ohne auf die anderen Hengste in ihren Boxen zu achten in seine Box mit der Nr. 24...
Der Umgang mit Pferden unter Gesichtspunkten des „Natural Horsemanship“ ist ein riesiger Trend. Wenn etwas „natural“ ist, verkauft es sich. Wie beurteilst Du diese Richtung?
Ich respektiere jeden, der mit Pferden arbeitet. Nur sollte dabei das wirkliche, wahre "Verstehen" des Pferdes immer im Vordergrund stehen: die Reaktion des Pferdes, warum es so reagiert wie es reagiert. Und was es uns damit sagen will.